Stundiendesign

Category

Essay Master Thesis

Date

Februar 2024

Verhandlungen 

unter dem Gesichtspunkt sich auflösender Geschlechter-konstruktionen

 

Abstract

Negotiations are integral in our lives whenever divergent perspectives necessitate engagement. This process begins in childhood, with various strategies aiming to influence negotiation outcomes. Max H. Bazerman highlights that common and costly negotiation mistakes occur before talks commence. The cultural sector, undergoing significant changes, faces challenges that require proactive and forward-thinking approaches. Failure risks the sectorës decline and a missed opportunity for societal cohesion. This study explores the influence of gender on negotiation outcomes in the cultural sector, focusing on gender identity in flux.

 

An extensive literature review precedes the study, clarifying key concepts. The research examines human thinking processes, revealing deceits affecting decisions. The foundational dimensions of Agency and Communion are introduced, and an empirical investigation is conducted through a quantitative survey. A thought experiment assesses the potency and consistency of gender stereotypes. The research includes the novel variable of the ÇThird Gender.ë Results are summarized and discussed, presenting possible courses of action and approaches for consideration. 

Fazit und Ausblick

Zielsetzung dieser Arbeit war es, den Einfluss von Geschlechterstereotype auf Verhandlungen und die daraus resultierenden Auswirkungen zu untersuchen. Der Arbeit zugrunde liegt eine ausf¸hrliche literarische Recherche und eine Studie, deren Auswertung deskriptiv erfolgte. Je 300 Männer und Frauen mit vorwiegend gehobenem Bildungshintergrund wurden zu einer fiktiven Verhandlungssituation mit sechs verschiedenen Wahlpartner:innen befragt. Ein dreistufiges Primingverfahren soll Auskunft dar¸ber geben, ob und wie stark sich geschlechterstereotype Muster aktivieren lassen, insbesondere auch im Hinblick auf non-bin‰re Menschen. Die unterschiedlichen Manipulationsstufen wurden systematisch analysiert und verglichen.

 

Es konnten folgende Erkenntnisse evaluiert werden: 

Frauen werden im Durchschnitt als ebenso agentisch wahrgenommen wie Männer. Die persönliche Einschätzung von Männern und Frauen weicht bei agentischen Eigenschaften zu Gunsten der Probanden stärker voneinander ab als bei kommunalen, die aber insgesamt bei beiden Geschlechtern höher bewertet wurden. 

Das Geschlecht als singuläres Kriterium scheint keinen vorrangigen Einfluss auf die Wahl des oder der Verhandlungspartner:in in Bezug auf eine Erfolgserwartung zu haben. Offensichtlich befinden sich Geschlechterstereotype in Regression oder sind an weniger offensichtliche Substereotype wie z. B. Alter oder bestimmte äußere Merkmale gebunden, die in einer eigenen Forschung zu untersuchen die Erklärungsansätze zur theoretischen Einordnung der Ergebnisse fundieren könnten. 

Ein schwacher Primingeffekt zeigte sich in Form einer Sensibilisierung der vorgeprimten Gruppen. Es wurden jedoch in keiner Gruppe signifikante Hinweise gefunden, die auf ausgrenzende Stereotype zwischen Männern und Frauen schlieflen lassen. Anders verhält sich das Ergebnis in Bezug auf das Dritte Geschlecht. In diesem Zusammenhang konnten sich Irritationen ermitteln lassen, die sowohl zu in sich widersprüchlichen als auch stark voneinander abweichenden Ergebnissen in den Entscheidungen der Proband:innen führten. Eine genauere Analyse, welche Ursachen diesem Stimulus zugrunde liegen, war aufgrund der begrenzten Wahlmöglichkeiten innerhalb dieser Stichprobe nicht möglich. Hinsichtlich der insgesamt mangelhaften Datenlage zum Dritten Geschlecht wäre eine kontextualisierende Untersuchung empfehlenswert. 

Eine Besonderheit zeigt sich zudem in Bezug auf das Attribut Kreativität, was ¸berdurchschnittlich oft mit den Personas des Dritten Geschlechtes verknüpft wurde. Inwieweit dieses Stereotyp einer wissenschaftlichen Prüfung standhält, wäre ebenfalls zu evaluieren. 

Ein weiterer Effekt hat sich in dieser Studie gezeigt: der Einfluss der Wechselwirkung zwischen agentischen und kommunalen Eigenschaften auf die Wahl des oder der Verhandlungspartner:in. Diese Synergie in einer Folgestudie näher zu betrachten, könnte einen Erkenntnisgewinn bringen. Hohe agentische Werte in Kombination mit niedrigen kommunalen Werten garantieren zwar nicht empirisch einen größeren Verhandlungserfolg, scheinen jedoch in dieser Weise wahrgenommen zu werden. Eine zusätzliche Perspektive sollte ebenfalls in die Überlegung einfließen, nämlich die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Verhandlung unter diesen Vorzeichen überhaupt zustande käme. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, 42 % der Proband:innen versuchen – sei es aus Antipathie oder ‚Bauchgefühl‘ -, eine Verhandlungssituation mit einer Person dieser Konstellation (hohe agentische, niedrige kommunale Anteile) zu vermeiden. Befinden sich die Werte hingegen in einem annähernd ausgewogenen Verhältnis, wird die Person als angenehme:r Verhandlungspartner:in wahrgenommen (s. z. B. Sascha).

 

Einmal mehr konnte diese Untersuchung replizieren, dass kulturinteressierte Menschen eine höhere Ambiguitätstoleranz, in diesem Fall gegenüber non-binären Menschen, aufweisen. Wie sich dieser Faktor in realen Zahlen in die Führungsetagen des Kultursektors transferieren lässt, wäre eine nächste Aufgabe. An den Kovariaten Bildung und Kunstinteresse konnte zudem ersehen werden, dass eine Kohärenz zwischen beiden besteht. Die Gruppe der bildungsschwachen Proband:innen war nur in geringer Zahl in dieser Stichprobe vertreten, dennoch lässt sich ein abfallender Trend ausmachen. Offensichtlich ist es noch immer nicht hinlänglich gelungen, Menschen mit niedrigem Bildungsstand und geringem Einkommen für Kunst und Kultur zu gewinnen. Dieser Umstand sollte zukünftig im Audience Development, gerade im Hinblick auf die beschriebene Ambiguitätstoleranz, noch stärker Beachtung finden. 

 

Betrachtet man abschlieflend die Ergebnisse dieser Studie, würde der offensichtliche Rückgang von Geschlechterstereotype Grund zur Hoffnung geben. Im Hinblick auf den von Erfurt Sandhu beschriebenen Selektionspfad (s. Kap. 3.4.3) könnte man zu der Konklusion kommen, dass die fortschreitende geschlechtliche Durchmischung ein zwar langsamer, aber steter Prozess sei, der automatisch das gewünschte Ziel der Geschlechterparität irgendwann erreicht. Bleibt also nur abzuwarten? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. In Anbetracht des eingangs erwähnten Gender Gaps muss gefolgert werden, dass die Beharrungskräfte an anderen Stellen wirken als an denen in dieser Studie untersuchten. Alarmierend ist zudem ein Trend zur Retraditionalisierung, der sich aktuell auf sozialen Kanälen unter jungen Menschen (unter dreiflig) im Hinblick auf Geschlechter(un)gerechtigkeit und Stereotypisierung beobachten lässt (vgl. Plan International, 2019). Um neue Ansatzpunkte und Handlungsoptionen zu finden, soll abschlieflend ein kurzer Blick auf Indikatoren geworfen werden, die Gegenstand weiterer Untersuchungen zu diesem Kasus sein sollten.

 

Primär sei der Care-Sektor genannt, der im Durchschnitt 52,4 % mehr weibliche als m‰nnliche Energie in Form von unbezahlter Arbeit bindet (vgl. BMFSFJ, 2019). Das Argument der stärker ausgeprägten kommunalen Neigung von Frauen ist nicht zuletzt durch die vorliegende Studie widerlegt. Eine Untersuchung, wie Care-Arbeit in einen auch monetär anerkannten Wirtschaftssektor überführt werden kann, würde eine wertende Differenzierung zwischen agentischen und kommunalen Eigenschaften im Sinne der Wirtschaftsökonomie obsolet machen und damit auch die imageprägende und rollenbildreproduzierende Überlegenheit des einen über das andere. 

 

Um in der Geschlechtergerechtigkeit keinen Backlash zu erleben, sollte der eben beschriebene Trend in den Sozialen Medien ernst genommen werden. Eine genauere Ausdifferenzierung von Ursachen und der Symbiose multipler Stereotype sowie die Entwicklung von Strategien, diesen auf eben jenen Kanälen entgegenzuwirken, darin sehe ich weiteren Handlungsbedarf im Kulturmanagement. 

 

Der Umstand, dass kommunale Eigenschaften auch in Bezug auf das Selbstkonzept eine zunehmend wichtige Rolle spielen, könnte ein Anknüpfungspunkt sein. Ebenso wie die situative Sensibilisierung, die sich durch den Primingeffekt gezeigt hat. Wie können diese Aspekte als Teil des eigenen Selbstverständnisses stärker aktiviert werden? Aufbauend auf dieser Überlegung sehe ich Optionen in der Integration verschiedener Denkansätze wie z. B. in der Counterstereotype Imaging Strategie (Dasgupta und Greenwald, 2001). Sie konstatiert, dass es möglich ist, allein durch die Visualisierung von Menschen, die dem eigenen Stereotyp entgegenstehen, eine positive Beeinflussung der eigenen Denkmuster zu erreichen. Eine ähnliche Idee hat die Kulturwissenschaftlerin Gundula Gwenn Hiller zur Kommutabilität der Ambiguitätstoleranz: die Bereitschaft, Gutes im Ungewissen zu entdecken (vgl. ebd. 2021). Der Prozess des Sich-Auseinandersetzens ermöglicht die Aktivierung des Denksystems 2, was – wie in Kapitel 3.1 erläutert – nicht auf stereotype Muster zugreift. Dies wäre ein intrinsischer Ansatz.

 

Einen extrinsischen Ansatz für die weiterführende Konsequenz aus dieser Studie zeigt die Arbeit der Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius. Sie konnte nachweisen, dass unser Denken und Handeln vornehmlich durch das Zusammenspiel von je zwei Botenstoffen und Hormonen (die Neurotransmitter Dopamin, Serotonin, sowie die Hormone Testosteron und Östrogen) geprägt werden. Durch die per EEG messbare jeweilige Dominanz eines dieser Stoffe ergibt sich die Neurosignatur, die Neigung und Persönlichkeitstruktur eines Menschen determiniert, jenseits von Chromosomen-Kombinationen. Hierin validieren sich nicht nur die Ergebnisse der vorliegenden Studie, sondern genau hier beginnt auch die eigentliche Auflösung von Geschlechterkonstrukten im Bezug auf ökonomisches Handeln. Empirisch bewiesen ist bereits, dass gemischte Neurosignatur-Gruppen den größten Erfolg in Bezug auf Innovationen und Verhandlungen erzielen. Würde es zukünftig gelingen, diese Erkenntnisse in den Köpfen und daraus folgend in den Arbeitnehmer:innenstruktur der Unternehmen zu implementieren, wäre ein grofler Schritt Richtung Gleichstellung auf der einen und Diversität auf der anderen Seite getan.

 

„Negotiation genius is about human interaction, 

and the only raw material you need to achieve 

it is the ability to change your beliefs, assumptions, and perspective.“

Deepak Malhotra, Max H. Bazerman